Dienstag, 10. März 2009

Wölfe in Ligurien: Ein finsteres Kapitel

Der Wolf führt offenbar schon seit den frühen 1990er-Jahren wieder ein heimliches Leben im Alpenbogen zwischen Ligurien, Piemont, dem Aosta-Tal und der Lombardei. Hirten berichten gelegentlich über Begegnungen, Bauern präsentieren
die Kadaver von gerissenen Schafen oder Ziegen, und fordern
Entschädigung. Noch sind die Vorkommnisse so selten, dass man sie ihnen gerne gewährt.
Das Verhältnis zwischen Wolf und Mensch war in Ligurien - wie anderswo auch - über die Jahrhunderte geprägt von realen täglichen Problemen und irrationalen Ängsten. Die heutige Provinz Imperia, in der sich Wald und offene Flächen abwechseln, war trotz der menschlichen Niederlassungen ein geradezu ideales Wolfsrevier.

Dass der Mensch das Territorium für seine Nutztiere beanspruchte, führte zwangsläufig zu Konflikten, vor allem in entlegenen Bergregionen, wie Briga Alta und Triora. Nicht umsonst sind gerade zwischen dem Monte Saccarello und dem Marguereis die Geschichten, Legenden und Fabeln rund um Isegrim besonders lebendig geblieben.

Im Mittelalter besiedelten die Ligurer selbst die entlegensten Winkel der extremen Ponente, Begegnungen zwischen Mensch und Wolf wurden zwangsläufig häufiger. Jagd und Weidewirtschaft dezimierten Wildschweine und Gämsen, Schafe und Ziegen weideten jetzt auf Höhen und Hängen. Berichte von Wölfen, die sich auf den Schlachtfeldern jener Zeit über die Leichen der Soldaten hermachten und die Ausbreitung der Tollwut taten das Ihre, um in der Bevölkerung Stimmung gegen den Wolf zu machen.

Die Angriffe infizierter Wölfe alarmierten die Bevölkerung fast im gleichen Maße, wie die Überfälle der Sarazenen. 1532 berichteten die Glaubensbrüder des Konvents von Taggia: „In dieser Zeit wüteten viele Wölfe in die Region, die nicht nur Schafe fraßen, sondern auch Rinder und Pferde und was am Schlimmste war, Menschen, unter ihnen den Sohn von Giorgio Turdini".

Wölfen, Bären und Wildschweinen wurde mit Fallen und Fangeisen nachgestellt. Die verbreitetste Form der Vorwärtsverteidigung aber war die Jagd, uneingeschränkt, zu jeder Jahreszeit und in manchen Gemeinden auch offensiv gefördert. So wurden in  Pigna im Jahr 1563 für jeden erlegten großen Wolf oder Bären 1 Pfund, 2 Dukaten bezahlt. Kopf und Pfoten waren zum Beweis vorzulegen.
Die Situation verschlimmerte sich in den Wirren der napoleonischen Zeit, mit einem Schwerpunkt von Wolfsattacken in den Tälern von Nervia und Argentina. 1802 brachte eine tollwütige Wölfin zwischen Sanremo und Nizza 18 Menschen den Tod.

Als auch die größe Treibjagd, die Ligurien je gesehen hatte, nicht den gewünschten Erfolg brachte, legte man mit Strychnin vergiftete Fleischbrocken aus. Mitte des 19. Jahrhunderts führte der Bevölkerungsdruck zu einer Zuspitzung des Konflikts um Territorien und Resourcen. Die Zahl der Menschen in der Bergregion der heutigen Provinz Imperia war zwischen 1801 und 1861 von 30.000 auf  45.000 angewachsen (heute leben dort gerade noch 20.000),  „moderne" Zeiten waren angebrochen, die Wälder abgeholzt. Die Ausrottung des Raubtiers war nur noch eine Frage der Zeit. Bezahlte Jäger dezimierten seine Zahl, die ab 1863 stetig abnahm. Einige Gebiete blieben noch für ein paar Jahre „Wolfsland", die Zone oberhalb von Sanremo etwa, zwischen Bignone und Ceppo. Auch der Monte Torraggio, das Hochtal der Roja, Triora und das obere Argentina-Tal boten dem Gejagten letzte Rückzugsmöglichkeiten.
1889 wurde schließlich in Rocchetta Nervina offiziell der "letzte Wolf" Liguriens erlegt. Doch die Jahrhunderte des Zusammenlebens haben ihre Spuren hinterlassen. In Ortsnamen, Sprichwörtern und Redewendungen ist der Wolf in Ligurien noch sehr präsent. Der Passo del Lupo, östlich des Monte Guardiabella, erinnert an ihn. Auch Cantalupo bei Porto Maurizio und das Val Lovaira bei San Bartolomeo führen den Wolf im Namen.
Und wenn man heute in Mendatica sagt Scüru cumme in tu cü au luvu (italienisch: "scuro come nel culo del lupo"; deutsch: „Finster wie im A.... des Wolfes") geht auch das auf jene Zeit zurück, als die Wölfe in Europa noch unter uns waren.
Jetzt sind sie zurück.