Dienstag, 31. Mai 2011

Tatort Via Dimora

Von Eva M. Kahler Eben noch habe ich unten am Parkplatz den Anschlag gelesen: „Grüner Papagei mit rotem Köpfchen entflogen. Spricht: Hoppla. Belohnung.“ Nun gibt es diesen Papagei nicht mehr. Der Besitzer müsste im Jenseits suchen. Da säße der Vogel
möglicherweise auf einem Stängelchen und nur sein wiederholtes „Hoppla, hoppla“ und eine frische, zarte Narbe an der Kehle würde an seine irdische Existenz erinnern.

So oft es geht, entfliehe ich dem späten deutschen Winter und fahre in meine zweite Heimat Ligurien. Pavarottis „O sole mio“ aus dem CD-Player im Auto noch im Ohr, den Duft des blühenden Ginsters in der Nase, ziehe ich hochgestimmt meinen Rollkoffer die schmale Dorfgasse zu meinem Rustico. Näherkommend sehe ich auf der Dachrinne einen grünen Vogel sitzen.

Schon springen mir einige Dorfkatzen zur Begrüßung entgegen. Sie sind dürr, manche gar nicht schön. Allen voran läuft meine Lieblingskatze: Baron Schiefhals. Er hat tatsächlich einen schiefen Hals, eine Missbildung, die er für sich zu nutzen weiss: Den Kopf stets ein bisschen auf die Seite geneigt, wirkt er auf mich so, als könne er zuhören und verstehen. Dazu trägt er ein hübsches rötliches Fell mit weißen Streifen. Wenn sich die Katzenkollegen am Futternapf drängen, holt er sich elegant mit der Pfote seinen Teil. Jetzt streicht er mir mit schnurrendem Charme um die Beine und genießt es, gestreichelt zu werden.

Plötzlich gilt seine ganze Aufmerksamkeit dem grünen Vogel, der sich flatternd auf dem Holzkasten der Bougainvillea niedergelassen hat – zu nah für Schiefhals, zu verführerisch für Schiefhals.

Die Mimosen duften, der Ginster blüht, und der Papagei haucht sein letztes „Hoppla“ in die milde Abendluft. Schiefhals hat ihm blitzschnell die Kehle durchgebissen, und schon trägt er den Vogel quer im Maul in den Olivenhain, auf der einen Seite wippen die grünen Schwanzfedern, auf der anderen hängt das schöne rote Köpfchen herab. Ein Raubtier mit seiner Beute.

Später trete ich vor die Tür auf die Dorfgasse. Drei vorbeischlendernde Touristen sprechen mich an: „Wenn Sie den grünen Papagei suchen, der ist den Märtyrertod gestorben. Und die rote Katze, die ihren Kopf so unschuldig schief hält, hat ihn auf dem Gewissen“. Schiefhals wurde also von der anderen Seite der Gasse bei seinem mörderischen Treiben beobachtet. Aber das mit dem Märtyrertod, das habe ich nicht verstanden.

Am späten Abend steht Schiefhals vor meiner Tür, er fordert seine Ration. Und natürlich habe ich ihm ein Restchen von meinem Huhn aufgehoben.

Aber eigentlich bin ich böse auf ihn. Der schöne Papagei. Warum musste gerade Schiefhals zum Mörder werden? Ich schimpfe ihn. Da legt er den Kopf schief und sagt: Das ist doch meine Natur!

Und dann räkelt und streckt er sich auf meinem Schoß, die Augen geschlossen, fast lächelnd.