Die Italiener sind verrückt nach ihm, dem Steinpilz. Im
Supermercato liegt er, hübsch drapiert, im Weidenkörbchen. Das Schild
weist ihn
als waschechten Bulgaren aus. Dabei gibt es auch in den hiesigen
Kastanien- und
Pinienwäldern die begehrten funghi porcini. Doch die
einheimischen
Gewächse sind deutlich teurer und werden immer rarer. Auf den Wochenmärkten sucht man
sie inzwischen meist vergeblich.
Waren es in der Vergangenheit vor allem die Alten aus den
verödeten Dörfern, die schon bei Sonnenaufgang mit Stöcken im taunassen
Laub stocherten, zieht es heute an den Wochenenden Heerscharen von
Städtern und
Vorstädtern in Turnschuhen und mit Plastiktüten bewaffnet hinaus in die
Wälder. Ihre Autos säumen dann im Dutzend die Straßenränder an den
Berghängen. Heute ist es an pilzträchtigen Wochenenden an jeder Piazza
Dante beschaulicher, als in der Campagna.
Die „funghaioli" leben nicht ganz ungefährlich, sind doch im
Oktober auch die Jäger in paramilitärisch anmutenden Stoßtrupps
unterwegs. „Statt Wildsau Pilzsammler
erschossen" ist im Herbst eine wiederkehrende Schlagzeile. Auch
„Pilzsammler findet Leiche" liest man immer wieder. Kaum jemand sonst
dringt so tief in die verstecktesten Winkel der unwegsamen Steilhänge
der Eichen- und Kastanienwälder vor. So wurde kürzlich auch die seit
August 2008 vermisste Alzheimer-Patientin aus Dolcedo von einem
Pilzsammler entdeckt.
Am Colle Melosa, wo die Gämsen zuhause sind und im Winter
die Langläufer ihre Runden drehen, ist es uns passiert, dass der Wagen vor uns
abrupt abbremste, aus allen Türen Menschen sprangen und rechts und
links der Straßen alles ausrissen, was Ähnlichkeit mit einem Pilz hatte. Ein
lustiges Wettrennen begann.
Dort oben sind die Wiesen im Oktober gelb von Goldröhrlingen, einem
guten, wenn auch etwas schleimigen Mischpilz, der aber von den meisten
Einheimischen
verschmäht wird. Auch prachtvolle Parasole (Schirmlinge) stehen in
großen Streichen unbeachtet im Walde auf einem Bein. Selbst Pfifferlinge
kommen den
Italienern offenbar nicht auf den Tisch
und so können diese im Juni in Großfamilien unbehelligt zu wahren Riesen
heranwachsen. "Giallini" - immerhin haben die Missachteten einen Namen
- findet man fast ausschließlich getrocknet im Angebot.
Einzig der König unter den Röhrlingen, der Steinpilz, gilt
den Ligurern etwas. Er ist derart begehrt, dass das Sammeln von einigen
Gemeinden reglementiert werden muss. Braune Schilder weisen am Wegrand darauf
hin. Sie sind aber auch Indiz dafür, dass sich genau an dieser Stelle die
Suche lohnt. Man sollte sich nicht erwischen lassen. Die Strafen sind empfindlich und man muss obendrein seine Beute abgeben.
Die Regenfälle in der dritten Septemberwoche waren nicht ausreichend,
um
die Pilze aus dem Boden schießen zu lassen. Und die ungewöhnliche Hitze
der
folgenden Wochen war auch nicht gerade angetan, die Ausbeute zu
steigern. Meist findet man trotzdem genug, um Gäste zu Tagliatelle con
funghi einladen zu können.
Morgen wollen wir wieder unser Glück versuchen. Fragen Sie jetzt
nicht wo. Soviel sei
verraten: Das Tal des Tanero bei Ponte di Nava - ein paar Schritte ins
Piemont hinein - ist immer eine Reise wert, auch wegen der grandiosen
Landschaft. Findet man nichts, kann man sich im Laden gegenüber der
Brücke mit frischen und getrockneten "funghi porcini" und anderen
Leckereien eindecken.